Sonntag Lätare - 30. März 2014

Predigttext: Jesaja 54
7 Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen, aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln.

8 Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen, aber mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen, spricht der HERR, dein Erlöser.
9 Ich halte es wie zur Zeit Noahs, als ich schwor, dass die Wasser Noahs nicht mehr über die Erde gehen sollten. So habe ich geschworen, dass ich nicht mehr über dich zürnen und dich nicht mehr schelten will.
10 Denn es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der HERR, dein Erbarmer.

 

Liebe Schwestern und Brüder!

Ich möchte Euch teilhaben lassen an meinem Gebet, an meinem Gespräch mit Gott über dieses Bibelwort.
Himmlischer Vater, ich weiß, dass dieses Bibelwort an das Volk Israel gerichtet ist. Aber ich nehme es für mich in Anspruch.
Ich danke Dir, Vater, für diese wunderbare Zusage:
„Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der HERR, dein Erbarmer.“
Berge mögen weichen. Ich schaue hinauf zum Spitzkofel. 2700 m ragt er empor. Schon vor Jahrtausenden stand er da. Ach was, vor Jahrtausenden? Vor Jahrmillionen! Er wird wohl auch noch einige Zeit dastehen. Felsenfest.
Wiewohl: So fest sind die Felsen ja auch nicht. Ich denke an eine steinerne Türschwelle einer alten Kirche. Sie ist in der Mitte schon einige Zentimeter tiefer als an der Seite. Abgetreten von tausenden von Schuhen, die draufgetreten sind.
Und der Galitzenbach hat sich ja auch in Jahrtausenden in eine gähnende Schlucht eingegraben.
Die Felsen, die so fest scheinen, sind doch nicht 100 prozentig fest.
Aber! „Meine Gnade“, sagst Du, Gott, die steht 100 prozentig. Fester als jeder Fels.

Aber was ist das, Gott, Deine Gnade?
In unserer Martin-Luther-Kirche in Lienz steht am Triumphbogen der Satz:
„Die Gnade und Wahrheit ist durch Jesum Christum geworden“.
Dein Sohn Jesus Christus ist Dein Gnadengeschenk an uns. Wir haben es nicht verdient. In Deinem Sohn Jesus Christus spüre ich es, dass Du mir freundlich zugetan bist, dass Du es gut mit mir meinst.
„Dein Bund des Friedens soll nicht hinfallen“. Da denke ich an die Heilige Taufe. Da hast Du den Bund des Friedens mit mir geschlossen. Da hast Du mich hineingenommen in Deine Gemeinschaft, in Deine Familie. Da hast Du mich heiliggesprochen.
Ich darf Dein Kind sein. Du bist mein guter Vater.
Und als Dein Kind  bin ich auch Dein Erbe. Den Himmel soll ich erben.
In der Taufe hast Du es mir zugesagt. Bei meiner  Konfirmation habe ich es angenommen.
Mir fällt das Tauflied ein „Ich bin getauft auf Deinen Namen“ (EG 200).
Da heißt es in der 2. Strophe:
„Du hast zu deinem Kind und Erben, mein lieber Vater, mich erklärt;
du hast die Frucht von deinem Sterben, mein treuer Heiland, mir gewährt;
du willst in aller Not und Pein, o guter Geist, mein Tröster sein.“

Und dann in der 4. Strophe:
„Mein treuer Gott, auf deiner Seite bleibt dieser Bund wohl feste stehn;
wenn aber ich ihn überschreite, so laß mich nicht verlorengehn;
nimm mich, dein Kind, zu Gnaden an, wenn ich hab einen Fall getan.“

So spricht der Herr, dein Erbarmer.
„Erbarmer“ nennst Du Dich, mein Gott.
Ich durfte ja hebräisch lernen in meinem Studium. Von diesem hebräischen Wort „racham“ für „erbarmen“, leitet sich auch „Mutterleib“ und „Eingeweide“ ab. Das ist das Innerste. Mein Schicksal ist Dir, Gott, nicht egal. Mein Schicksal bewegt Dein Innerstes.

In Jesaja 54,7 lese ich „Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen“.
So empfand es das Volk Israel in der Gefangenschaft. Da fühlten sie sich von Dir, Gott, verlassen. Sie sagten sich: Das ist der Zorn Gottes über unsere Sünde. Dass wir Gottes Gebote nicht geachtet haben. Dass wir anderen Göttern nachgelaufen sind.
Auch ich, Hans Hecht, habe Deinen Zorn, Gott, verdient. Ich habe wohl Deine Liebe angenommen, aber oft nicht erwidert. Oft blieb mein Herz lau, wenn nicht gar kalt, gegen Dich, Gott, und gegen meine Mitmenschen.

Trotzdem hatte ich nie das Gefühl, dass Du, Gott, mich verlassen hättest. Nicht einen Augenblick. Auch nicht an Tagen, die für mich schwer gewesen sind. Da habe ich mich immer an den Psalm 23 gehalten, wo es heißt: „Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück, denn DU bist bei mir.

Vater, ich nehme das Wort von Jesaja 54 als Dein Wort für mich. Aber es ist ein Wort für Dein Volk. Wohl auch für Deine Kirche.
Ja, es gab auch Zeiten, in denen es den Anschein hat, als sei die Kirche von Dir verlassen gewesen. Zeiten, in denen die Botschaft von Deiner Gnade ganz verschüttet gewesen war. Aber es gab auch die Zeit, in der Martin Luther die Botschaft von Deiner Gnade wieder neu entdeckt hat. In der Bibel entdeckte er sie und brachte sie neu zum Leuchten.
Und heute? Menschen verlassen die Kirche. Bei uns in Europa. Sie wird bei uns wohl kleiner werden. Vielleicht wird sie bald auch ganz anders organisiert und gestaltet sein. Aber sie wird nicht untergehen. Ich glaube, dass Dein Wort auch für die Kirche gilt:

„Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der HERR, dein Erbarmer.“
Herr, lass uns Deine Gnade und Deinen Frieden spüren und erleben, im Leben der Pfarrgemeinde, in den Gottesdiensten der verschiedenen Kirchen und Konfessionen und hier bei uns, in unserer Pfarrgemeinde in Lienz.
Gott, Du willst sie sammeln (Vers 7); die Christen und die Kirchen. Lass nicht zu, dass wir dabei im Wege stehen.

Vater, Dein Sohn Jesus Christus sagt, dass die Heilige Schrift von IHM redet (Joh 5, 39), auch das Alte Testament. Jetzt merke ich, wie auch Jesaja 54 von Deinem Sohn redet. „Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen“. Das war, als Jesus am Kreuz schrie: „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“
„Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen“ – Ja, da hat Jesus Deinen Zorn, Gott, getragen, den ich verdient habe. Aber Du hast ihn erlöst in der Auferstehung.
Weil ER Deinen Zorn getragen hat, glaube ich, dass Deine Gnade, Vater nicht mehr von mir weicht.

Das will ich glauben, Vater, dass DU mich keinen Augenblick verlässt.
Aber was soll ich der Frau sagen, die Dich anklagt, weil ihr Mann so früh verstorben ist. Was soll ich dem Menschen sagen, der vom Arzt die Diagnose einer bösen Krankheit bekommt?
Ich denke an eine Frau, die klagt: Gott hat mich verlassen. Ich habe das Vertrauen verloren. Warum hatte der, der sich „Erbarmer“ nennt, kein Erbarmen mit mir?

Gott, Du bringst mich auf den Gedanken, der Frau die Geschichte von den „Spuren im Sand“ zu erzählen:
Da blickt ein Mensch zurück auf seinen Lebensweg. Im Rückblick sieht er die Spur seines Lebens wie Fußspuren im Sand. Er sieht zwei Spuren. Seine eigene Spur und daneben Deine Spur, Gott. Du hast ihn ja begleitet.
Aber dann entdeckt er Abschnitte, in denen doch nur 1 Spur sichtbar ist. Darüber klagt er: Gott, da ist nur 1 Spur. Da hast Du mich im Stich gelassen. Gerade in den Lebensphasen, in denen ich es besonders schwer hatte. Warum hast Du mich da verlassen?
Und Du, Gott, gibst ihm Deine Antwort: Nein, ich habe dich niemals verlassen. Da, wo du nur 1 Spur siehst, da habe ich dich getragen.

Gott, wird die Frau mit der Geschichte etwas anfangen können?
Es bleibt ja die Frage: Wenn Du, Gott, unser Erbarmer bist – Warum bleiben uns schwere Erfahrungen nicht erspart?
Ich ahne es. Du als unser Vater willst uns das Größte schenken. Den Himmel.
Aber wir wollen ihn nicht. Wir wollen auf der Erde bleiben; jedenfalls so lange es uns gut geht.
Wie bekommen wir Sehnsucht nach dem Himmel?
Meist nur so, wenn wir Schweres erleben.

Ich beende jetzt mein Gespräch mit Gott.
Als Pfarrer möchte ich mich nun dir zuwenden, liebes Gemeindeglied.
Nein, in schweren Zeiten bist du nicht von Gott verlassen. Er ist gerade auch in schweren Zeiten bei dir und lässt in dir die Sehnsucht aufkeimen nach dem größten Geschenk, das dein Erbarmer in seiner Gnade für dich bereit hat: den Himmel, dessen Herrlichkeit alle Herrlichkeit dieser Welt 1000-fach übersteigt.
Amen.

   
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