Liebe Gemeinde,
stellen wir uns vor, der Pfarrer (P) und ein Lektor (L) bereiten gemeinsam den Gottesdienst für den Reformationstag vor. Ihr wisst ja, was ein Lektor ist. Ein Mann oder eine Frau, die nicht Pfarrer sind und entsprechend vorbereitet unter der Verantwortung des Pfarrers Gottesdienste feiern. Das entspricht ganz der evangelischen Überzeugung vom „allgemeinen Priestertum der Gläubigen“ – dass wir schon durch die heilige Taufe zu Priestern geweiht sind und mit einem Predigtdienst beauftragt sind.
P Welche Lieder nehmen wir denn? L Jedenfalls „Ein feste Burg ist unser Gott, EG 362“ P Ja, viele Gottesdienstbesucher sagen: Wenn wir nicht singen „Ein feste Burg“, dann ist das für mich kein richtiger Reformationsgottesdienst. L Strophen 1 – 4 P Ich würde lieber nur 1 – 3 nehmen L Warum? P Schau dir einmal den Text von V 4 an: „Nehmen sie den Leib, Gut, Ehr, Kind und Weib: laß fahren dahin, sie haben's kein' Gewinn, das Reich muß uns doch bleiben.“ Kannst du das mit Überzeugung mitsingen? Das können wir höchstens leise nachsprechen und darüber staunen, wie kostbar vielen der Glaube gewesen ist; kostbarer als Hab und Gut, kostbarer als das Leben. L Gut: 1-3. P Und was nehmen wir noch? L Was ist denn überhaupt Predigttext? P Die Seligpreisungen L Dazu gibt es hinten im EG (Österreich-Ausgabe) ein passendes Lied: 636, „Selig seid ihr, wenn ihr einfach lebt“ (GL 458) P Dieses Lied mag ich nicht L Warum nicht? P Weil es die biblische Aussage verdreht. Die Seligpreisungen der Bibel sind eine Zusage. Das Lied macht daraus eine Forderung L Das verstehe ich nicht. P Na lesen wir einmal den Predigttext Mt 5
Als Jesus aber das Volk sah, ging er auf einen Berg und setzte sich; und seine Jünger traten zu ihm. 2 Und er tat seinen Mund auf, lehrte sie und sprach: 3 Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich. 4 Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden. 5 Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen. 6 Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden. 7 Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen 8 Selig sind, die reinen Herzens sind; denn sie werden Gott schauen. 9 Selig sind die Friedfertigen; denn sie werden Gottes Kinder heißen. 10 Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihrer ist das Himmelreich. 11 Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen und reden allerlei Übles gegen euch, wenn sie damit lügen. 12 Seid fröhlich und getrost; es wird euch im Himmel reichlich belohnt werden. Denn ebenso haben sie verfolgt die Propheten, die vor euch gewesen sind.
L Da heißt es immer „Selig“. Verstehen Jugendliche, was das heißt? Das Wort „selig“ verwendet doch keiner im Alltag. Gibt es dafür eine andere Übersetzung? P In der „Gute Nachricht“-Bibel heißt es „Freuen dürfen sich..“ L Aber ist das nicht eine Verschiebung des Sinnes? Wenn ich höre „selig“, dann denke ich an die ewige Seligkeit. An den Himmel. Bei den Worten „freuen dürfen sich“ denke ich mehr an irdische Freuden. P Ja, um den Himmel geht es tatsächlich. V 12: „es wird euch im Himmel reichlich belohnt werden“ Zwei mal, V3 und 10 heißt es „ihrer ist das Himmelreich“. Und was zwischen V 3 und 10 steht sind ja auch alles Bilder für den Himmel: sie sollen getröstet werden, sie werden Barmherzigkeit erlangen, sie werden Gott schauen…
L Aber was hast du gegen das Lied „Selig seid ihr“? P Schau: In unserer Welt und Gesellschaft heißt es immer „Wenn – Dann“: Wenn die Kinder artig sind, dann kommt zu ihnen das Christkind. Wenn du brav lernst, kannst du einmal einen guten Beruf ausüben und viel Geld verdienen. Zur Zeit Luthers: Wenn du ins Kloster gehst, Wallfahrten unternimmst, fastest, Ablässe erwirbst, dann kommst du in den Himmel. Und genau auf dieser Linie liegt das Lied „Selig seid ihr“: Wenn ihr einfach lebt, wenn ihr Lasten tragt, wenn ihr Frieden macht, … dann kommt ihr in den Himmel Aber Martin Luther entdeckte in der Bibel, dass man sich den Himmel nicht durch eine menschliche Leistung erarbeiten kann. Er ist ein Geschenk. L Und wem kommt dieses Geschenk zu? P Schau hinein in das Bibelwort: Da wird vom Volk gesprochen und von den Jüngern Jesu. Also zwei Gruppen von Menschen. Und dann kommen die Seligpreisungen. Die sind alle zweiteilig. Im 1. Teil heißt es immer „selig sind…“ im zweiten Teil eine Begründung. Der 1. Teil ist eine Beschreibung der Jünger. Wie sie sind. Wie es ihnen ergeht. Ihre Einstellungen, die sie von Jesus übernommen haben. Was sie alles erleiden. Im zweiten Teil: Warum sie sich trotzdem freuen dürfen, obwohl sie leiden. Sie dürfen sich trotzdem freuen, weil sie den Himmel haben.
L Jetzt hast du vieles erklärt, wie das alles aufgebaut ist, aber was ist die Botschaft von dem Ganzen? P Für mich sind es zwei Botschaften: Eine Botschaft für die Jünger und eine Botschaft für das Volk. Die Botschaft für die Jünger ist ein Trost. Jesus sagt ihnen: Ja, ihr leidet. Wie ich auch leide; und noch viel mehr leiden werde. Aber der Himmel ist euch geschenkt! Das ist wie bei einem Kranken, dem der Arzt mit Überzeugung sagt: Du wirst wieder gesund. Da kann der Patient die Schmerzen und die Mühen der Behandlung leichter ertragen, wenn er das ganz sicher weiß: Ich werde wieder gesund. Und dann sind die Seligpreisungen auch eine Botschaft an das Volk: Ihr möchtet auch den Himmel haben. Dann werdet meine Jünger! Dann habt ihr auch den Himmel. Aber es ist auch eine Warnung: Wenn du mein Jünger wirst, wird es nicht immer leicht sein. Aber: Wenn du als Jünger leiden wirst – diese Leiden sind immer klein im Vergleich zu der riesengroßen Herrlichkeit, die du im Himmel erleben wirst.
L Du hast gesagt: Der Himmel ist ein Geschenk. Bedingungslos. Aber eine Bedingung gibt es doch: Jünger sein. P Da hast du recht. Das ist die Voraussetzung für den Himmel: Dass einer ein Jünger Jesu ist.
L Ich frage mich: Zu welcher von den beiden Gruppen gehöre ich eigentlich? Gehöre ich zu den Jüngern oder zum Volk? Was ist eigentlich ein Jünger? P Das griechische Wort, das im Urtext steht: „matetes“ heißt eigentlich Schüler. Jeder, der Schüler ist, weiß, dass er Schüler ist: Frag einen Volksschüler: Bist du Schüler? Er wird sagen Ja, ich bin Schüler. Oder frag einen Fahrschüler: bist du Fahrschüler? Er wird sagen: Ja ich bin Fahrschüler. Aber sonderbar: Frag einen Christen: Bist du ein Jünger – ein Schüler Jesu? Und er sagt: Das weiß ich nicht. Ich vergleiche einmal das Schülersein in den Schulen, die wir sonst so kennen, mit dem Schülersein bei Jesus. Bevor ein Schüler in die Schule kommt, wird er eingeschrieben. Das könnte man mit der Taufe vergleichen. Da wird einer eingeschrieben in die Gemeinde Jesu Christi. Später beginnt dann der Unterricht. Wenn es gut geht beginnt der Unterricht von Jesus schon im Vorschulalter, wenn Eltern oder Großeltern dem Kind aus der Kinderbibel vorlesen. Zum Unterricht bei Jesus gehören dann die Gottesdienste und die Bibelkreise. Pädagogen sagen: Man lernt durch Hören, Sehen, Tun und am besten nicht allein, sondern in einer Gruppe, wo einer auch von den Mitschülern lernt: was Mitschüler gut machen, aber auch von ihren Fehlern. So lernt auch der Jünger Jesu von Jesus: Er hört hin auf Jesus, schaut hin auf ihn, wie er handelt, und der Jünger lernt, indem er praktiziert, was er von Jesus gehört und gesehen hat. Und das geht am besten nicht allein, sondern in der Gemeinschaft mit den Mitchristen. Und dann gibt es in der Schule auch Hausaufgaben: Ich gebe euch heute die Hausaufgabe, dass ihr einmal die ganze Bergpredigt durchlest: die 3 Kapitel Matthäus 5 bis 7, die mit den Seligpreisungen beginnen. Dann ist für den Schüler wichtig, dass er Vertrauen hat zum Lehrer oder der Lehrerin. Dass der Schüler spürt: Der Lehrer kann und weiß mehr als ich. Dieses Vertrauen zum Lehrer Jesus nennen wir Glauben. Dass wir glauben, er ist der Sohn Gottes, dessen Weisheit alle menschliche Weisheit haushoch übersteigt – oder besser gesagt: himmelhoch übersteigt Es gibt gute und schlecht Schüler. Ja, es gibt sogar Schulschwänzer. Wichtig ist, dass einer kein Schulabbrecher ist. Aber selbst da gibt es noch Möglichkeiten, das Versäumte nachzuholen. Bei den vielen Gemeinsamkeiten gibt es aber doch auch einen Unterschied: Bei den Schulen, die wir sonst kennen, gibt es einen Schulabschluss. Aber als Jünger und Schüler Jesu haben wir Zeit unseres Leben nie ausgelernt. Wenn du nicht weißt: gehöre ich zu den Jüngern oder zum Volk, dann fasse einen Entschluss: Ja, ich möchte Jünger sein. Jesus, dein Schüler möchte ich sein. Ich will auf dein Wort hören, auf dich will ich hinschauen und es auch tun und möchte hineinwachsen in die Gewissheit, dass deine Zusage an deine Jünger „ihrer ist das Himmelreich“ auch mir gilt.
L Mir fällt auf, dass bei der Schilderung, wie es den Jüngern geht, das Leiden sehr im Vordergrund steht: Sie sind arm, hungern, haben Durst, werden verfolgt, werden mit falschen Behauptungen beschuldigt… Warum ist das so? P Da geht es ihnen nicht anders als Jesus selber. Ja schon vor Jesus haben die Propheten, die mutig das Wort Gottes gepredigt haben, dafür gelitten. Und nach Jesus ist es so weitergegangen bei seinen Aposteln und den Märtyrern. Für mich ist es ein Wunder Gottes, dass Martin Luther seinen Einsatz für die Kirche überlebt hat und nicht auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde. Dietrich Bonhoeffer aber wurde im KZ gehenkt. Und auch heute müssen viele Menschen ins Gefängnis, die nichts verbrochen haben, nur weil sie Christen sind. Und viele von ihnen werden auch ermordet. Es liegt wohl dran, dass Jesus mit einem absoluten Wahrheitsanspruch auftritt: „Ich bin DIE Wahrheit, und DER Weg, und DAS Leben. Alles andere als diese EINE Wahrheit ist Irrtum und Lüge. Gegenüber diesem Anspruch gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder, ich schließe mich dieser Wahrheit an, oder ich lehne sie ab. Dann aber macht mir Jesus den Vorwurf, dass ich in der Lüge lebe. Aber das will ich nicht, darum bekämpfe ich Jesus und die Wahrheit, die er behauptet. Allerdings ist es heute in Mitteleuropa häufig anders: Da heißt es oft: Ich habe MEINE Wahrheit und du hast DEINE Wahrheit. Damit verraten wir aber die Wahrheit Jesus Christi, der Gesagt hat: „Ich bin DER Weg und DIE Wahrheit und DAS Leben; niemand kommt zum Vater außer durch mich“. Ich denke, wir sind es auch den Moslems, die jetzt in großer Zahl nach Europa kommen, schuldig, ihnen zu sagen: Ich bin Christ. Ich bin überzeugt, dass Jesus DIE Wahrheit ist.
L Wir wollten doch noch ein Lied aussuchen. P Ich schlage vor: EG 347 (GL 436): „Ach bleib mit deiner Gnade“ Diese Lied beginnt mit der Ruhm der Gnade Gottes und in Strophe 2 mit dem Wort Gottes und endet in der 6. Strophe mit der Treue Gottes, die uns dazu bewegen möchte, dass wir unsererseits beständig bei IHM bleiben.
Amen.
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