Liebe Gemeinde,
wie ist das, wenn das alles neu beginnt?
Vielleicht so: Frühlingsgefühle mitten im Winter, Schmetterlinge im Bauch, große Freude und lachende Sehnsucht. Mir jedenfalls geht es heute so. Ich habe richtig Herzklopfen. So viel Segen! Ich freue mich so, dass Sie da sind, dass Du da bist! Ich freue mich so, hier mit Ihnen und Euch neu anfangen zu können.
Nach einer wichtigen und guten Erholungszeit und einer Zeit der Vorfreude. Frühlingsgefühle schon im Herbst! So schön war diese wunderschöne Idee mit dem Fischlein, die ich Anfang Oktober über WhatsApp bekommen habe und ich danke Euch allen, die ihr hier seid und seitdem mitgeholfen haben, diese Idee umzusetzen, diese Fische genäht, dieses Fest vorbereitet, die Kirche geschmückt, euch allen, die ihr uns heute so einen schönen Anfangsgottesdienst möglich gemacht haben: jedem und jeder einzelnen sagt das Fischlein heute zu: Schön, dass Du da bist! Schön, dass es dich gibt! Du bist so gewünscht, ersehnt und erwartet jetzt hier in dieser Welt. Mach dich auf, werde Licht! Lass dich hinauslocken, in die Freude!
Unser vorgeschlagener Predigttext hat dazu noch viel stärkere, lustbetontere Worte. So hört die Worte aus dem Hohelied der Liebe, im 2. Kapitel, die Verse 8-13:
8 Hör ich da nicht meinen Liebsten? Ja, da kommt er auch schon! Er springt über die Berge, hüpft herbei über die Hügel. 9 Mein Liebster gleicht der Gazelle oder einem jungen Hirsch. Schon steht er an unserer Hauswand. Er schaut durch das Fenster herein, späht durch das Fenstergitter. 10 Mein Liebster redet mir zu: »Schnell, meine Freundin, meine Schöne, komm doch heraus! 11 Denn der Winter ist vorüber, der Regen vorbei, er hat sich verzogen. 12 Blumen sprießen schon aus dem Boden, die Zeit des Frühlings ist gekommen. Turteltauben hört man in unserem Land. 13 Der Feigenbaum lässt seine Früchte reifen. Die Reben blühn, verströmen ihren Duft.
Worte des Lebens.
Liebe Gemeinde, Na so was! Frühlingsgefühle mitten im Schnee! Zwei Verliebte zieht es zueinander. Sie hört, wie er zu ihr über die Berge geflogen kommt und nun hinter der Hauswand steht und fensterlt, hineinschaut und sie zu sehen sucht. Aber er will nicht hinein, sondern lockt sie heraus ins Freie: Denn der Winter ist vorüber, der Regen vorbei … Blumen sprießen, der Frühling ist gekommen. Sieh hin, hör hin, rieche und schmecke, wie schön es ist.
Frühlingsgefühle im Advent! Und das bei uns in Lienz, bekannt dafür, dass hier im Winter gerne und viel Schnee liegt und viele manchmal gar nicht aus ihren Tälern herauskommen können. Über die Berge fliegen können, wäre da manchmal ganz fein. Schön, dass Ihr da seid, Ihr aus dem Drau- und Mölltal, dem Defereggental, dem Vilgraten- oder Virgental, meine lieben Freundinnen und Freunde aus dem Gail- und Lesachtal … schön, dass Ihr da seid!
Frühlingsgefühle – in aller Herzenssprache und mit viel Erotik – na so was! – im Advent als Bild – für unsere Gottessehnsucht. Und ja, das passt so gut für unsere Zeit, wo wir so wünschen, dass Gott zu uns geflogen kommt. Über alle Berge und Steine hinweg – vom Himmel herab – Oh Heiland, reiß die Himmel auf! Reiß ab vom Himmel Tor und Tür, reiß ab: wo Schloss und Riegel Frieden verhindert, Gerechtigkeit einsperrt, Hoffnung zermürbt. Sehnsucht, dass Gott endlich kommt und die Erde aufsprengt, nicht mit Bomben und Granaten, sondern mit einem grünenden Keim und vorwitzigen Sprossen, dass alles wieder grün wird und uns lachen lässt.
Und ja, mit diesen Schmetterlingsgefühlen im Bauch bin ich heute da. Und vielleicht auch Ihr. Denn ich wünsche mir, so viel möge wieder in Bewegung kommen: im Herzen, im Lieben, im Glauben, im Leben, im Beten, im miteinander Feiern, im Brot brechen, im Segnen. Nach vorne schauen und jene Verletzungen, die uns je ganz unterschiedlich und in eigenen Geschichten im vergangenen Jahr wie unüberwindliche Berge erschienen sind, dass wir sie überwinden. Denn wisse, so erzählt es das Hohelied der Liebe Gottes: Kein Berg zu hoch, als dass Gott nicht herbeieilen würde, um Israel aus der Knechtschaft zu führen (Andreas Nachama). Davon, liebe Gemeinde, will ich mich aufrichten lassen. Und so soll es erzählt, immer wieder erzählt werden, im Advent: Keine Zeit zu hoffnungslos, keine Dunkelheit zu groß: Unser Heiland kommt.
Wenn Gott kommt, dann wird es eine Freude sein wie über ein neugeborenes Kind, weil jedes Kind ein Neuanfang ist, jedes Menschlein ein Wunder ist, jedes Mal neu in dieser Welt. Weil im Kleinsten Gott am größten ist.
Liebe Gemeinde, ich will heute ganz bewusst an diesem Anfangsgefühl festhalten, an diesem Zauber, von dem Hermann Hesse schreibt, er beschütze und helfe uns zu leben – der unserem Herzen Mut macht, Abschied zu nehmen vom Vorangegangenen und am Kommenden zu gesunden. Ich will mich aufmachen und Euch ermutigen: lasst uns miteinander gesunden! Lasst uns miteinander darauf schauen, was uns im kommenden Jahr lebendig macht und froh, was uns hoffen lässt und uns zu gottgeliebten und gottverliebten Hoffnungsmenschen für andere aufrichtet. Denn diese Frühlingsgefühle gehören dazu, zu unserem Sein und unserem Anfang. Und auch wenn wir als Gemeinde sicherlich in alle weiteren Gefühle hineingeraten, die zu einem guten Miteinander und zu einem Leben so ganz sicher dazu gehören: das Einander ernüchtern, das Enttäuschen, die Irritation, der Ärger über mich und den oder die andere, und auch das miteinander Aussprechen und die gemeinsame Suche nach Lösungen und Regeln des Miteinanders, damit das Zusammen-Gemeinde-Sein für andere gelingen kann und das miteinander Wachsen an und mit Christus, dass wir immer wieder für andere formulieren können: Schön, dass Du da bist! Komm, mach mit! Hier ist es gut sein! Komm, mach dich auf und komm mit und zu uns hinaus!
Denn das ist das Geheimnis, das schon das Volk Israel erfahren hatte: Kein Berg zu hoch, dass Gott nicht herbeieilen würde und in die Freiheit führt und zusagt: Du bist so gewünscht, so ersehnt und so erwartet, genau jetzt und heute hier in dieser Welt. Also: Mach dich auf! Werden Licht, denn Dein Licht kommt!
Gott ist da. Sieht durch Mauerritzen hindurch unser Leben. Gott ist da. Hinter unseren Klagemauern. Gott ist nur ein Gebet von Dir entfernt. Und Du weißt, Nelly Sachs hat es so gesagt: Die Klagemauer – Im Blitz eines Gebetes stürzt sie zusammen. Gott ist da. Sieht in den Stall hinein. Steht da, an der Krippen hier, voller Sehnsucht nach uns.
Mein Liebster redet mir zu: »Schnell, meine Freundin, meine Schöne, komm doch heraus!
Gott lockt uns in unser Leben hinaus: Schau, wie gut ich alles für Dich gemacht habe.
Der Winter ist vorüber, der Regen vorbei (…) 12 Blumen sprießen schon aus dem Boden, (…) 13 Der Feigenbaum lässt seine Früchte reifen. Die Reben blühn, verströmen ihren Duft.
Siehe: Es ist alles sehr gut. Siehst Du es auch? Sieh, immer wieder erzählt der Regenbogen davon: unsere Erde bleibt bestehen. Meine Zuneigung für Dich bleibt. Hör, hör auf meine Stimme: Mach Dich auf und werde Licht und ich zeige Dir, wo und wie Du leben kannst. Meine Gebote sind leicht. Ich bin Dein Gott. Glaub an Deinen Traum: Hoffnung und Segen sollen mit Dir sein, so viel wie Sterne am Himmel. Geh unter dem Segen. Spüre durch alle Tränen hindurch in Deinem Herzen: Wo immer Du auch bist, ich schau hinter Dir her und sehe dich mit Fürsorge an, denn ich Gott, sehe dich. Sei gewiss: Ich will mit Dir sein, wo auch immer du hingehst. Was immer ist. Es wird gut. Der Himmel geht auf – über allen. Jeder Teil dieser Erde ist heilig. Und so auch Du. Wo Du vertraust, den anderen siehst, dich selbst verschenkst, wird Frühling werden.
Liebe Gemeinde, Das möchte ich Ihnen / das möchte ich Euch heute zu meinem Beginn mit Euch versprechen: • Dass ich Euch als Eure neue Pfarrerin immer wieder von den Frühlingsgefühlen Gottes für uns erzählen will in meinen Predigten, dass Ihr mit frohem Herzen, aufstehen könnt, nach Hause gehen sollt;
• dass ich Euch nach Eurem Verhältnis zu Gott fragen möchte in unseren Gesprächen und Bibelkreisen, dass ihr euch gesehen erlebt;
• dass ich für Eure Erfahrungen mit Gott aufmerksam bin und als Eure Seelsorgerin zuhöre: seien die Erfahrungen kurz oder lang, krisenerprobt oder krisengeschüttelt, bewährt oder immer wieder zweifelnd, verzweifelt, leidenschaftlich oder freundschaftlich gereift, dass ihr euch aufrichten könnt und euren Kopf erhebt; • dass wir mit miteinander – ich als Eure Pfarrerin und ihr als Gemeindeverantwortliche – in unseren Gremien ein Stück wachsen an dem einen, der den Himmel in den Augen hatte und die Liebe im Herzen: der Liebe für uns alle: ohne Unterschied offen, einfühlsam, aufmerksam, akzeptierend und uns in unseren Fehlern und Schwächen wahrnehmend und dennoch annehmend.
Denn es ist ja so: Glaube und Liebe besitzen uns nicht, sind ein Haus, wo wir uns zu Zeiten bergen können. Glaube und Liebe sind viel mehr Bewegung und Begegnung, drinnen und draußen, Glaube und Liebe müssen raus ins Leben. Und oft sind Glaube und Liebe auch fern von einer Kirchenmauer, und doch voller Sehnsucht-Haben – vielleicht dann, wenn ich ganz oben am Berg bin – und vielleicht auch wieder Annäherung und hineinschauen, hier in unser Kirchlein: da wünsche ich Ihnen, Dir, dass Sie, dass Du einen Satz lesen wirst – hier in unserer Bibel – oder an einem Wort an der Kirchentür, wo Du hören kannst: Schön, dass Du da bist!
Frühlingsgefühle im Advent – sie sollen uns ermutigen: Schau Dich um, hüpfe, springe, eile darauf zu, was Dich mit Gott lebendig werden lässt, lass dich finden von der Sehnsucht der Lebendigen, dem Leben, der Liebe nach Dir, lass dich von ihr lieben, und liebe auch du, von ganzem Herzen, ganzer Seele und ganzem Gemüt. Denn Gott kommt zur Welt, in unsere Welt, damit wir wieder aufbrechen und leben. Und seien wir sicher, hinter jeder unserer Mauern, wie auch immer sie gebaut sein möge durch unsere Leben, durch unsere Erfahrungen: Gott ist nur ein Gebet weit entfernt.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.
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