Predigt von Pfarrerin Dr. Margit Leuthold zum Altjahresabend,

31. Dezember 2023 in der Martin-Luther-Kirche Lienz

 

„Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt.“ (Offenbarung 1,4)

 

Liebe Gemeinde,

atemberaubend war dieses Jahr.
Nicht nur wegen COVID oder diesen Grippeviren, sondern auch, weil wir in diesem Jahr an so vielen Momenten haben merken müssen, wie krank unsere Welt ist.
Junge Menschen bezeichnen sich als die „Letzte Generation“ …
Junge Männer verlassen ihr Land, damit sie nicht in einen Krieg ziehen müssen, der nicht der ihre ist.
Alternde und alte Männer haben nichts anderes vor, als ihren Nächsten oder der ganzen Welt zu drohen.
Gewalt schlägt Menschenrecht? Gewalt schreibt Geschichte und Wirklichkeit und sagt, was richtig ist und was nicht?
Ausbeutung schlägt Zukunftsrecht? Bequemlichkeit, eingefahrene Wirtschaftsstrukturen, Geld hat die Macht und die Waffen und damit wieder die Gewalt?

Ganz anders atemberaubend ist unser Predigttext für heute.

Paulus kennt die Gemeinde in Rom, an die er schreibt, nicht persönlich. Er stellt sich mit seinem Brief vor und doch schreibt er so klar auf die Fragen, die zu seiner Zeit in der Luft lagen – welches Gesetz hat Gewicht? Was gilt? Streit überall: gegenüber dem Staat, der anfängt, diese Sekte zu verfolgen, gegenüber den Menschen in den Synagogen, die anfangen, „jetzt mal halblang“ zu rufen, gefährden wir uns doch nicht selbst? Gegenüber den Menschen, denen es langsam „zu bunt“ wird in dieser Christengemeinschaft: alle ohne Ausnahme können dazu kommen, auch die mit den vielen Göttern in ihrer Vergangenheit … gegenüber den Menschen, die einen grundlegenden „Herrschaftswechsel“ mit Christus erleben: Zugehörig sein durch Taufe, nicht durch Nationalität, Religion, Stand, Geschlecht …
Wer hat denn da die Gewalt?



Römer 8, 31-39 (Luther-Bibel 2017)

31 Was wollen wir nun hierzu sagen? Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein? 32 Der auch seinen eigenen Sohn nicht verschont hat, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben – wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?
33 Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen? Gott ist hier, der gerecht macht. 34 Wer will verdammen? Christus Jesus ist hier, der gestorben ist, ja mehr noch, der auch auferweckt ist, der zur Rechten Gottes ist und für uns eintritt.
35 Wer will uns scheiden von der Liebe Christi? Trübsal oder Angst oder Verfolgung oder Hunger oder Blöße oder Gefahr oder Schwert? 36 Wie geschrieben steht (Ps 44,23): »Um deinetwillen werden wir getötet den ganzen Tag; wir sind geachtet wie Schlachtschafe.«
37 Aber in dem allen überwinden wir weit durch den, der uns geliebt hat. 38 Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, 39weder Hohes noch Tiefes noch irgendeine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.

Worte des Lebens.

 


Liebe Gemeinde,

Heute bilanzieren wir … auch wenn wir das nicht wollen.
Heute blicken wir zurück und nach vorn.
Und heute sind wir dünnhäutig.
Wir sind da mit allem, was uns im vergangenen Jahr widerfahren ist, uns und unseren Lieben,
uns selbst, uns und unseren Freunden und Freundinnen, uns und unserer Welt.
Alles ist da: unbegreifliches Leid und wortlose Trauer, unbändiger Freude und großer Dankbarkeit …
Und auch das Wissen, es ist so kurz.
Unser Leben.
Alles ist kostbar an diesen guten Momenten, diesen Lebens-Augenblicken.
Weil sie vergehen, und nicht verweilen.

Denn sonst haben sie wohl auch alle Chancen, zur Hölle auf Erden zu werden.

Gott bleibt in allem Beziehung.
Hilfe, wenn ich meine Augen aufhebe zu den Bergen.
Gott – immer wach.
Behütend alles Zeit. Im Leben und im Sterben.

Gott, der beides in unserem Leben wachsen lässt: Unkraut und Weizen
Gott – immer langmütig
Weil Gott weiß, am Ende kommt der Weizen in die Scheune und das Unkraut ist dann schon längst vergangen. So können, könnten wir auch beten.
Wenn wir Gottes Schutz und Richtung suchen. Wenn wir Gottvertrauen haben.

Paulus macht aber mit seinem Brief etwas anderes.
Ihm ist gleich, ob seine Adressaten Gottvertrauen haben oder nicht, oder wie sie genau ihren Glauben leben, oder woher sie kommen und wie stark sie im Glauben sind oder nicht …
Er spricht seine Zusage, Zuversicht ungefragt zu.
Und sagt: So ist Gott.
Gott ist da und steht Dir bei, nicht weil Du darum gebeten hast, sondern weil Gott es will.
Weil Jesus Christus es will.
Weil Gottes Liebe so ist, dass sie uns hält und trägt.
Was auch immer geschehen ist.
Was auch immer kommen wird.
Nichts kann uns von Gottes Liebe trennen.

Das ist eine mächtige Ansage.
Weil sie sagt: Gott ist da, selbst wenn niemand mehr da ist, Gott zu loben.
Gottes Liebe ist für uns da, selbst wenn es keine Liebe mehr gibt auf Erden.
Gott ist da, auch wenn wir ihn nicht mehr erkennen oder glauben.
Paulus schreibt das.
Ungeheuerlich. Denn es ist eine Botschaft wider alle Erfahrung.
Es ist ein Trotzdem wider alle Wirklichkeit.
Es ist eine so starke Verkündigung der Liebe Gottes, dass sie in manchen Momenten nur gehört werden kann, nicht geglaubt oder angenommen …



Liebe Gemeinde,

ich finde das genau richtig für heute Abend und für unsere Zeit, in der wir uns befinden.
Auf Gewissheiten möchte ich nicht bauen in ungewissen Zeiten.
Aber. Worauf ich hören möchte, ist, dass es Menschen gab und gibt, die von etwas anderes erzählen können: Davon, dass wir – wo wir ganz und gar nichts mehr tun oder ändern können, wir trotzdem, dennoch in allem aufgehoben sind in Gottes Liebe.
So wie es im Schema‘ Israel auftragen ist: Höre Israel, Ich bin der Herr, Dein Gott … - ich bin bei dir.
Höre, die Liebe Gottes hört niemals auf …
Höre, da war Paulus gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch irgendeine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.
Höre, - so wie wir gesungen haben, von guten Mächten sind wir wunderbar geborgen,
können getrost erwarten, was kommen mag. Denn Gott ist mit uns am Abend wie am Morgen, und ganz gewiß an jedem neuen Tag.

 „Der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.“
Amen.

 

Predigtvorbereitung mit:
Kathrin Nele Jansen: Altjahrsabend: Röm 8,31b−39 Trotzdem! Für jetzt und immer und ewig!
In: Predigtmeditationen im christlich-jüdischen Kontext zur Perikopenreihe V

Plus Jüdische Theologinnen und Theologen legen die Bibel aus: Die neuen alttestamentlichen Texte der Reihe 5;
Herausgegeben von Studium in Israel e.V., Berlin 2022, S. 47-53.

 

 

 

   
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